Pflegevermächtnis im österreichischen Erbrecht

Was ist das Pflegevermächtnis?

Das Pflegevermächtnis wurde 2017 als Teil einer Reform des österreichischen Erbrechts eingeführt. Durch eine finanzielle Zuwendung aus dem Erbe des Verstorbenen sollen Pflegeleistungen nahestehender Personen anerkannt werden. Ziel ist es, jene Unterstützung, die Verstorbene von ihren Angehörigen in den letzten Jahren ihres Lebens erhalten haben, angemessen zu würdigen. Der Gesetzgeber gewährt daher pflegenden Angehörigen einen Geldanspruch gegen die Erben, wenn sie in den letzten 3 Jahren vor dem Tod über einen Zeitraum von mindestens 6 Monate Pflegeleistungen in einem bestimmten Ausmaß erbracht haben.

Wer ist berechtigt ein Pflegevermächtnis zu verlangen?

Nahestehende Personen, die jemanden gepflegt haben, haben unter bestimmten Voraussetzungen einen Geldanspruch gegen die Erben.

Nahestehende Personen, das sind:

  • Personen aus dem Kreis der gesetzlichen Erben (zB Ehegatte, Kinder, Eltern, Geschwister),
  • Ehegatten, eingetragene Partner oder Lebensgefährten der gesetzlichen Erben und deren Kinder (zB die Schwiegertochter oder das Stiefkind)
  • Lebensgefährte des Verstorbenen und deren Kinder

Haben mehrere nahestehende Personen gepflegt, so gebührt jedem von ihnen ein Pflegevermächtnis entsprechend dem Umfang und der Dauer der Pflegeleistungen.

Voraussetzungen des Pflegevermächtnisses

Ein Pflegevermächtnis steht gemäß § 677 ABGB unter folgenden Voraussetzungen zu

  • der/die Verstorbene muss pflegebedürftig gewesen sein
  • der/die Verstorbene wurde zumindest 6 Monate in den letzten 3 Jahren vor dem Tod gepflegt
  • die Pflegeleistungen waren nicht bloß geringfügig
  • der Pflegende Angehörige hat für seine Pflege weder ein Entgelt noch eine andere Zuwendung seitens des Verstorbenen erhalten

Ein Indiz für die Pflegebedürftigkeit einer Person kann der gesetzliche Anspruch auf Pflegegeld sein. Hat der/die Verstorbene Pflegegeld erhalten, wird vermutet, dass die Person pflegebedürftig war. Der Begriff Pflege ist im Zusammenhang mit dem Pflegevermächtnis gesetzlich definiert und umfasst jede Tätigkeit, die dazu dient, einer pflegebedürftigen Person soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

Das Ausmaß der Pflegeleistungen darf nicht nur geringfügig sein. Wer einen Angehörigen im Ausmaß von mehr als 20 Stunden im Monat pflegt, erfüllt das Kriterium einer nicht bloß geringfügigen Pflege.

Das Pflegevermächtnis ist anhand des angemessenen Lohns des Pflegenden iSd § 1152 ABGB nach Art, Dauer und Umfang der Pflegeleistungen zu bemessen. Die Mindestlohntarife für im Haushalt Beschäftigte (ca. EUR 10,00 / Stunde) können als Orientierungsgröße dienen, wobei ein Abschlag vorzunehmen ist, weil es sich um Bruttobeträge handelt. Letztlich handelt es sich bei der Festsetzung der Höhe jedoch um eine Frage des richterlichen Ermessens gem. § 273 ZPO.

Bei langjährigen Pflegeleistungen, die sehr zeitintensiv waren, zum Teil in der Nacht erfolgten und auch anspruchsvolle Tätigkeiten umfassten, erscheint die Bemessung des Pflegevermächtnisses mit einem Stundensatz von EUR 14,00 angemessen (vgl. OGH 24. 6. 2021, 2 Ob 63/21k).

Hinweis: Es wird empfohlen Aufzeichnungen (zB im Kalender oder einem Pflegetagebuch) darüber zu führen, an welchen Tagen, wie lange man jemanden gepflegt hat und welche Tätigkeiten durchgeführt wurden. Diese Aufzeichnungen dienen nicht nur als Gedächtnisstütze, sondern können auch als Beweis der Pflegetätigkeit vor Gericht verwendet werden.

Die Höhe des Pflegevermächtnisses richtet sich nach der Art, Dauer und Umfang der Pflegeleistungen. Die Auflistung von Pflegeleistungen ist daher sehr individuell, kann sich jedoch beispielhaft wie folgt darstellen:

  • Erledigung der Einkäufe (Supermarkt, Apotheke, Sanitätsgeschäfte, Bäcker, Bekleidungsgeschäfte, etc.) – 45 min pro Tag
  • Zubereitung der täglichen Speisen (Frühstück, Mittagessen, Jause und Abendessen) – 1 h 30 min pro Tag

  • Herrichtung der täglichen Medikamente sowie Kontrolle, ob diese eingenommen wurden – 15 min pro Tag

  • Begleitung zu Arzt-, Spital-, und Laborbesuche sowie Organisation der erforderlichen Termine mit Ärzten in diesem Zusammenhang und dem Pflegedienst– 30 min pro Tag

  • Tägliches An- und Entkleiden – 45 min pro Tag

etc..

Diese Leistungen werden sodann für den betreffenden Pflegezeitraum hochgerechnet und mit einem entsprechenden Stundensatz zw. € 10 und € 14 (je nach Intensität der Pflegeleistung) beziffert.

Vom errechneten Pflegeaufwand sind gemäß § 677 Abs 1 ABGB all jene Zuwendungen abzuziehen, die man vom Verstorbenen aufgrund der geleisteten Pflege erhalten hat, da Leistungen nicht doppelt honoriert werden sollen. Solche Zuwendungen müssen daher im Zusammenhang mit der Pflege geleistet worden sein. Hat man zum Beispiel ein Entgelt für die Pflege erhalten, so ist dieses Entgelt vom berechneten Pflegeaufwand abzuziehen. Was genau als „Zuwendung“ im Sinne des Gesetzes gilt ist im Einzelfall noch strittig, etwa die Schenkung eines wertvollen Schmuckstückes als Dank für die Pflege.

Wenn eine Gegenleistung für die erbrachte oder zu erbringende Pflege vereinbart bzw gewährt wurde, diese aber nicht die Höhe des Pflegevermächtnisses erreicht, steht das Pflegevermächtnis in Höhe des Differenzbetrages zu.

Verfahren zum Pflegevermächtnis

Es ist sinnvoll bereits im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens dem zuständigen Gerichtskommissär (Notar) mitzuteilen, dass man aufgrund der erbrachten Pflegeleistungen ein Pflegevermächtnis geltend machen möchte. Der Gerichtskommissär hat in weiterer Folge zu versuchen ein Einvernehmen zwischen dem Anspruchsberechtigten und den Erben über die Erfüllung des Pflegevermächtnisses herzustellen. Zur Vorbereitung eines solchen Einigungsversuchs hat der Gerichtskommissär die nötigen Informationen und Unterlagen für das vom Verstorbenen bezogene Pflegegeld von den zuständigen Trägern einzuholen.

Können sich die beteiligten Personen einigen, so kann ein sogenanntes Übereinkommen über Pflegeleistungen zu beim zuständigen Gerichtskommissär zu Protokoll gegeben werden. Dieses Übereinkommen hat die Wirkung eines vor Gericht geschlossenen Vergleiches und ist für die Parteien bindend. Können sich die beteiligten Personen nicht einigen oder wird der Anspruch von den Erben bestritten, so muss der Anspruch auf Pflegevermächtnis in weiterer Folge gerichtlich eingeklagt werden. Da es sich um einen Anspruch aus eienem Vermächtnis handelt, kann das Pflegevermächtnis erst ein Jahr nach dem Tod des Erblassers verlangt werden. Der Anspruch verjährt innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis der für das Bestehen des Anspruchs maßgebenden Tatsachen. Es wird daher empfohlen, den Anspruch innerhalb von 3 Jahren ab dem Tod gerichtlich einzuklagen, sofern zuvor keine Einigung erzielt werden konnte.

Pflegevermächtnis und Pflichtteil

Hat eine pflichtteilsberechtigte Person einen nahen Angehörigen gepflegt, so steht ihr das Pflegevermächtnis neben dem Pflichtteil zu. Eine pflichtteilsberechtigte Person hat daher Anspruch auf das Pflegevermächtnis und den Pflichtteil. Das Pflegevermächtnis hat Pflichtteilscharakter und kann nur durch wirksame Enterbung entzogen werden.

Nach aktueller Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH 28. 5. 2024, 2 Ob 65/24h) genießt der Anspruch auf Pflegevermächtnis auch Vorrang gegenüber der Befriedigung von Pflichtteilsansprüchen.

Eine Kürzung des Pflegevermächtnisses gem § 692 ABGB zur Deckung von Pflichtteilsansprüchen ist nach der Judikatur ausgeschlossen. Das Pflegevermächtnis hat wie eine Verlassenschaftsverbindlichkeit absoluten Befriedigungsvorrang vor Pflichtteilsansprüchen.

Wenn die Verlassenschaft nicht ausreicht, um sowohl die Pflichtteilsansprüche als auch das Pflegevermächtnis zu erfüllen, und der Erbe iSd § 802 ABGB nur beschränkt haftet, werden daher die Pflichtteilsansprüche und nicht das Pflegevermächtnis gekürzt.

 

Rechtliche Unterstützung:

Insgesamt die Berechnung ein Pflegevermächtnisses im Detail sehr komplex und durchaus aufwendig. Wenn Sie Fragen im Zusammenhang mit Ansprüchen aus einem Pflegevermächtnis bzw. Unterstützung bei der Durchsetzung dieser Ansprüche haben oder mit Forderungen konfrontiert sind, vereinbaren Sie gerne einen Termin für ein Erstgespräch.

Schreiben Sie ein E-Mail an office@kanzlei-rauf.at oder rufen Sie mich einfach direkt unter +43 664 925 5245 an. Sie können natürlich auch das Kontaktformular auf meiner Website nutzen.

 

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