Schweiz
Gesetzliche Erbfolge
Die gesetzliche Erbfolge wird durch formelle familienrechtliche Beziehungen bestimmt. Dies hat die praktisch bedeutsame Folge, dass der nichteheliche Lebenspartner kein gesetzlicher Erbe ist, sondern auf die gewillkürte Erbfolge angewiesen ist.
Verwandtenerbrecht
Die verwandten Angehörigen des Erblassers werden aufgrund ihrer unterschiedlichen verwandtschaftlichen Nähe zum Erblasser durch das Parentelsystem in Gruppen eingeteilt.
Eine Parentel umfasst eine Person mit allen ihren Nachkommen.
- Erste Parentel: Kinder des Erblassers und deren Nachkommen
- Zweite Parentel: Eltern des Erblassers und alle von ihnen abstammende Personen
- Dritte Parentel: Großeltern des Erblassers und alle von ihnen abstammende Personen
Für das Verhältnis zwischen den drei Parentelen gilt ausnahmslos der Grundsatz, dass eine nachfolgende Parentel nur dann zum Zug kommt, wenn sämtliche Angehörige der vorangehenden Parentel als Erben ausscheiden. Die Erbberechtigung innerhalb einer Parentel wird durch verschiedene Prinzipien bestimmt:
- Der Aszendent geht in jeder Parentel den übrigen Angehörigen vor
- Fällt ein Erbe aus, rücken dessen Kinder nach und treten an seine Stelle (Eintrittsprinzip)
- Sind keine Nachkommen des ausgefallenen Erben vorhanden, wächst der Anteils des ausgefallenen Erben seinen gleichstufigen Miterben anteilsmäßig an (Anwachsungsprinzip)
- Hinterlässt der Erblasser keine Nachkommen, zerfällt die Erbschaft in zwei Hälften, die der Vater- bzw der Mutterseite zugewiesen werden (Linienteilung)
- Geschwister und weitere Seitenverwandte untereinander erben schließlich immer zu gleichen Teilen (Gleichheitsprinzip)
Ehegatte / Eingetragener Partner
Der überlebende Ehegatte und der überlebende EP stehen als nicht verwandte Angehörige des Erblassers außerhalb des Parentelsystems. Sie sind neben den Parentelen und damit zusätzlich erbberechtigt. Der Erbanteil des Ehegatten / EP ist davon abhängig, welche Parentel konkurrierend mit ihm erbberechtigt ist. Die ihm zustehende Quote umfasst die Hälfte des Nachlasses, wenn er mit den Angehörigen der ersten Parentel zu teilen hat und erhöht sich auf 3/4 des Nachlasses, wenn sie in Konkurrenz zu Personen der zweiten Parentel stehen. Gegenüber Angehörigen der dritten Parentel setzt sich der Erbanspruch des überlebenden Ehegatten / EP vollumfänglich durch.
Gemeinwesen
Hinterlässt der Erblasser weder verwandte Angehörige noch einen Ehegatten bzw EP und hat er auch keinen Erben eingesetzt, so fällt die Erbschaft an das Gemeinwesen. Diesem kommt damit die Stellung des letzten gesetzlichen Erben zu.
Anrechnung von Schenkungen / Ausgleichungspflicht
Unentgeltliche Vorempfänge (Erbvorbezüge) mindern den beim Ableben des Erblassers real vorhandenen Nachlass. Ob solche lebzeitigen Zuwendungen unter Anrechnung an die Erbquote des Vorempfängers durch Real- oder Idealausgleichung im Nachlass zu berücksichtigen sind, richtet sich primär nach dem Willen des Erblassers.
Fehlt eine ausdrückliche Verfügung des Erblassers sind dessen Nachkommen in Bezug auf Zuwendung mit Ausstattungscharakter von Gesetzes wegen der Ausgleichungspflicht unterworfen. Bezüglich der übrigen gesetzlichen Erben ist eine Ausgleichungspflicht demgegenüber nur dann gegeben, wenn der Erblasser dies angeordnet hat. Weiter nimmt das Gesetz übliche Gelegenheitsgeschenke von der Ausgleichungspflicht aus und lässt eine solche hinsichtlich Auslagen für die Ausbildung und Erziehung einzelner Kinder nur greifen, wenn sie das übliche Maß übersteigen.
Durch Ausschlagung kann sich ein Erbe von der Ausgleichung entziehen, setzt sich diesfalls aber Herabsetzungsansprüchen von Pflichtteilserben aus.
Formvorschriften Testament
Damit eine Verfügung von Todes wegen durchsetzbar ist, muss der Erblasser verfügungsfähig sein, die Verfügungsformen und Verfügungsarten beachten sowie die Pflichtteile wahren. Der Begriff der Verfügung von Todes wegen umfasst als Unterarten die letztwillige Verfügung (Testament) und den Erbvertrag.
Nach Schweizer Recht sind sowohl gemeinschaftliche als auch korrespektive Testamente gültig. Beim korrespektiven Testament hat der letzte Wille des Erblassers für sich genommen keinen Bestand, er ist vom letzten Willen einer anderen Person abhängig.
Der Gesetzgeber stellt dem Erblasser, der eine letztwillige Verfügung errichten will, drei mögliche Errichtungsformen zur Auswahl:
Öffentliches Testament
Das öffentliche Testament wird von einer Urkundsperson unter Mitwirkung von zwei Zeugen in einem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren errichtet und bei der Urkundsperson selbst oder einer Amtsstelle aufbewahrt.
Eigenhändiges Testament
Das eigenhändige Testament wird ohne Mitwirkung von Drittpersonen errichtet. Um die damit verbundene Gefahr von Fälschungen und Beeinflussungen möglichst zu unterbinden, bestehen gesetzliche Formvorschriften, die streng einzuhalten sind. Das holographische Testament ist demnach unter Beifügung des Errichtungsdatums von Anfang bis zum Ende eigenhändig niederzuschreiben und zu unterzeichnen. Nach dem Errichtungsdatum eingefügte Änderungen und Ergänzungen an der bestehenden Urkunde werden als neue Verfügungen von Todes wegen qualifiziert und unterliegen als solche wiederum den erwähnten Formvorschriften.
Mündliches Testament
Das mündliche Testament ist wie das öffentliche Testament eine amtliche Testamentsform. Sein Charakter als Nottestament hat zur Folge, dass es ausschließlich bei Vorliegen einer entsprechenden, gesetzlich vorgesehenen, außerordentlichen Situation zur Anwendung gelangen kann und nach deren Aufhören innerhalb von 14 Tagen unwirksam wird.
Pflichtteilsrecht
Eine gebundene Quote bleibt der Verfügung des Erblassers entzogen; eine die Pflichtteile nicht beachtende Anordnung ist demnach anfechtbar. Der Pflichtteil muss dem Berechtigten ungemindert, unbelastet, unbedingt und frei von Lasten zu Eigentum zukommen.
Pflichtteilsgeschützt sind nicht sämtliche gesetzliche Erben, sondern nur die Nachkommen des Erblassers, seine Eltern und der überlebende Ehegatte / EP.
Der Pflichtteil berechnet sich als Bruchteil des jeweiligen gesetzlichen Erbanspruchs; er beträgt
- Für Nachkommen: 3/4
- Für die Eltern: Je 1/2
- Für den überlebenden Ehegatten: 1/2
Der Pflichtteil der Nachkommen beträgt 3/4 der Pflichtteilsberechnungsmasse, wenn sie nicht mit dem überlebenden Ehegatten / EP teilen müssen; andernfalls beträgt er 3/8. Für den Ehegatten / EP, der weder zu Nachkommen noch zu Erben der zweiten Parentel in Konkurrenz steht, macht der Pflichtteil die Hälfte der Pflichtteilsberechnungsmasse aus. Sind Nachkommen vorhanden, beträgt der Pflichtteil der überlebenden Ehegatten / EP 1/4, während er sich bei einer Teilung mit Erben des elterlichen Stammes auf 3/8 der Berechnungsmasse beläuft. Letztere sind in diesem Fall im Umfang von je 1/16 geschützt. Ist kein überlebender Ehegatte / EP vorhanden, beträgt der Pflichtteil jedes Elternteils 1/4 der Berechnungsmasse.
Die Summe der Pflichtteile bildet den gebundenen Nachlass; die verfügbare Quote (Freiteil) ist die Differenz zwischen sämtlichen Pflichtteilen und dem Gesamtnachlass. Dabei handelt es sich allerdings nur um einen abstrakten Prozentsatz, der erst nach der Bestimmung der Berechnungsmasse seine konkrete Gestalt annimmt.
Pflegevermächtnis
In der Schweiz wurde 1973 mit dem Bundesgesetz über die Änderung des bäuerlichen Zivilrechts der „Lidlohn“ eingeführt. Er stellt eine Entschädigung für Arbeitsleistungen im Familienbetrieb dar und kann nach teleologischer Auslegung auch Pflegeleistungen abgelten, die von Nachkommen zugunsten ihrer Eltern und Großeltern erbracht wurden. Der Lidlohn ist nach seiner Rechtsnatur ein schuldrechtlicher Anspruch sui generis mit familienrechtlicher Ausprägung. Als Anspruchsberechtigte kommen die Kinder und Enkelkinder des Erblassers in Betracht. Die müssen volljährig ein, mit ihren Eltern oder Großeltern im gemeinsamen Haushalt zusammengelebt und der Wohngemeinschaft Arbeitsleistungen oder Einkünfte zugewendet haben. Aufgrund dieser engen Anspruchsvoraussetzungen spielt der Lidlohn keine große Rolle in der Praxis, zumal die materiellen Voraussetzungen häufig nicht mehr den heutigen faktischen Lebensverhältnissen entsprechen.
Erbschaftserwerb
Mit dem Tod des Erblassers erwerben die Erben die Erbschaft als Ganzes, also sowohl das Aktivvermögen, als auch die Schulden, von Gesetzes wegen. Die Erbschaft fällt den gesetzlichen wie den eingesetzten Erben von selbst und ex lege, auch ohne ihr Wissen, zu (eo-ipso-Erwerb). Aufgrund des eo-ipso-Erwerbs findet kein dem österreichischen Recht entsprechendes Verlassenschaftsverfahren statt und es gibt keinen Gerichtskommissär. Einer besonderen Annahme bedarf es grds nicht. In bestimmten Fällen verlangt das Gesetz ausnahmsweise eine ausdrückliche Annahme:
- Bei offensichtlicher Zahlungsunfähigkeit des Erblassers
- Wenn die berufenen Erben zugunsten nachfolgender Erben ausschlagen
- Wenn die Nachkommen die Erbschaft ausschlagen und demzufolge der überlebende Ehegatte an deren Stelle die die Annahme erbklären kann
Wird in diesen Fällen keine Annahmeerklärung abgegeben, gilt die Erbschaft als abgelehnt.
Erbverfahren
Für das Erbrecht kann unterschieden werden zwischen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der streitigen Gerichtsbarkeit.
Freiwillige Gerichtsbarkeit
Die ordnungsgemäße Abwicklung des Erbgangs kann durch Sicherungsmaßregeln gewährleistet werden. Örtlich zuständig für die Sicherungsmaßregeln ist die Behörde am letzten Wohnsitz des Erblassers. Die Festlegung der sachlichen Zuständigkeit erfolgt durch das kantonale Recht. Mögliche Sicherungsmaßregeln sind die Siegelung, das Erbschaftsinventar, die Erbschaftsverwaltung, der Erbenruf und die Eröffnung von Verfügungen von Todes wegen.
Streitige Gerichtsbarkeit
Die wichtigsten Klagen zur Durchsetzung des materiellen Erbrechts sind:
- Ungültigkeitsklage: Gestaltungsklage, mit welcher jeder interessierte Erbe die Ungültigerklärung einer Verfügung von Todes wegen aufgrund von Mängeln verlangen kann
- Herabsetzungsklage: Gestaltungsklage, mit welcher jeder in seinem Pflichtteil verletzte Erbe die Herabsetzung verlangen kann
- Erbschaftsklage: Leistungsklage, mit der der nichtbesitzenden Erbe die Herausgabe der Erbschaft verlangen kann
- Vermächtnisklage
- Erbteilungsklage