Großbritannien

Besonderheiten des britischen Erbrechts

Das britische Erbrecht ist geprägt von der gesonderten Nachlassabwicklung durch einen administrator oder executor. Da dieser zunächst Inhaber des gesamten Nachlasses wird, ist England die Unterscheidung zwischen Erben und Vermächtnisnehmern fremd. Alle beneficiaries haben nur Herausgabeansprüche gegenüber dem personal representative, egal, ob sich diese auf einzelne Nachlassgegenstände oder auf den gesamten nach Abwicklung verbleibenden Reinnachlass beziehen. Außerdem werden die beneficiaries automatisch von jeder persönlichen Haftung für Nachlassverbindlichkeiten befreit; sie müssen also weder das Erbe ausschlagen noch andere Handlungen zur Haftungsbeschränkung vornehmen.

Neben dem Prinzip der gesonderten Nachlassabwicklung prägt der Grundsatz der Testierfreiheit das englische Erbrecht. Das Gericht kann den nahen Angehörigen zwar Versorgungsleistungen aus dem Nachlass (family provisions) einräumen, aber feste Pflichtteilsansprüche oder Noterbrechte kennt das englische Recht nicht.

Sofern im Folgenden der Begriff „Erbe“ verwendet wird, darf dies nur als erbrechtliche Begünstigung, nicht aber als Vermögensnachfolge iSd Universalsukzession verstanden werden.

Gesetzliche Erbfolge

Erbrecht des Ehegatten und registrierten Lebenspartners

Die gesetzliche Erbfolge ist traditionell von einer sehr starken Stellung des länger lebenden Ehegatten geprägt, wobei dieser in England ausschließlich erbrechtlich abgefunden wird, durch das Güterrecht aber keinen zusätzlichen Ausgleich erhält.

Hinterlässt der Erblasser Abkömmlinge, hat der Ehegatte Anspruch auf folgende Nachlassteile:

  • Alle personal chattels des Erblassers (gesamtes bewegliches Vermögen des Erblassers mit Ausnahme von Geldvermögen, Gegenständen, die hauptsächlich beruflichen Zwecken dienen, und Wertgegenständen, die nur als investement gehalten wurden
  • Einen festen Geldbetrag iHv derzeit £ 250.000
  • Die Hälfte des danach verbleibenden Reinnachlasses
  • Der überlebende Ehegatte hat das Wahlrecht, dass ihm der personal representative ein zum Nachlass gehörendes Familienwohnheim gegen Verrechnung des Verkehrswertes mit seinen erbrechtlichen Ansprüchen überträgt

Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge, erhält der Ehegatte seit 2014 den gesamten Nachlass, unabhängig davon, welche weiteren Verwandten vorhanden sind.

Erbrecht der Abkömmlinge und Verwandten

Sind Abkömmlinge des Erblassers vorhanden, schließen diese alle weiteren Verwandten von der Erbfolge aus. Hinterlässt der Erblasser keinen Ehegatten, so fällt damit der gesamte Nachlass den Abkömmlingen zur freien Verfügung an. Neben dem länger lebenden Ehegatten erhalten die Abkömmlinge nur 1/2 des residuary estate.

Mehrere Kinder erben zu gleichen Teilen. Ist ein Kind vorverstorben oder fällt es als Erbe weg, treten dessen Abkömmlinge an seine Stelle (Erfolge nach Stämmen). Erbberechtigt sind sowohl leibliche (eheliche und uneheliche) als auch adoptierte Kinder.

Die Verwandten erben in folgender Rangfolge, sodass alle nachrangigen Personengruppen ausgeschlossen sind, wenn in einer vorrangigen zumindest noch ein Erbe vorhanden ist:

  • Die Eltern,
  • Die vollbürtigen Geschwister bzw deren Abkömmlinge
  • Die halbbürtigen Geschwister bzw deren Abkömmlinge
  • Die Großeltern
  • Die vollbürtigen Geschwister der Eltern bzw deren Abkömmlinge
  • Die halbbürtigen Geschwister der Eltern bzw deren Abkömmlinge

Mehrere Personen einer Personengruppe erben zu gleichen Teilen, wobei die Abkömmlinge eines vorverstorbenen Geschwisters gemäß dem Prinzip der Erbfolge nach Stämmen an dessen Stelle treten. Sind solche Verwandten nicht vorhanden, so ist der Nachlass ohne gesetzliche Erben und fällt an die Krone.

Ausgleichung; Anrechnung von Schenkungen

Gesetzliche Ausgleichungsregeln, mit denen testamentarische Zuwendungen auf die gesetzlichen Rechte angerechnet wurden, wurde durch den Law Reform Act 1995 abgeschafft. Mit dem gleichen Gesetz wurden auch alle früheren Anrechnungs- und Ausgleichungsbestimmungen abgeschafft, sodass lebzeitige Zuwendungen an Ehegatten oder Abkömmlinge keine Auswirkungen auf das gesetzliche Erbrecht haben und innerhalb mehrerer Erben nicht mehr ausgeglichen werden müssen.

Formvorschriften Testament

Bei den testamentarischen Zuwendungen ist zu unterscheiden zwischen den Vermächtnissen, die dem Begünstigten endgültig zur freien Verfügung verbleiben sollen (absolute interest) und vom personal represtentative zu erfüllen sind, und zahlreichen weiteren Zuwendungsformen, die über die Anordnung eines testamentary trust erreichbar sind.

Zur Errichtung eines wirksamen Testaments (will) muss der Erblasser volljährig (18 Jahre) und testierfähig sein. Er muss außerdem in der Absicht handeln, ein Testament aufzustellen, dessen Inhalt kennen und das Testament mit freiem Willen errichtet haben.

Für die Wirksamkeit müssen ferner folgende formelle Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Das Testament muss schriftlich abgefasst sein, wobei es weder auf die Handschriftlichkeit noch auf die Urheberschaft des Erblassers ankommt, sodass auch maschinenschriftliche oder gedruckte Texte genügen und diese sogar von einem Begünstigten oder Zeugen verfasst sein können. Das Testament kann auf Dokumente, die diesem nicht beigefügt werden brauchen, wirksam verweisen.
  • Der Text muss durch den Erblasser selbst oder durch eine andere Person auf Weisung in Anwesenheit des Erblassers unterzeichnet sein. Räumlich muss die Unterschrift zwar den Text abschließen oder ersatzweise auf einem Testamentsumschlag erfolgen, strenge Anforderungen an die Zusammengehörigkeit des Texts und die Position der Unterschrift werden aber nicht gestellt. Eine Unterschrift ist nicht erforderlich, sofern die Urheberschaft in anderer Weise erkennbar ist.
  • Schließlich muss die Unterzeichnung selbst oder deren Anerkennung durch den Erblasser bei gleichzeitiger Anwesenheit von mindestens zwei Zeugen erfolgen, die dies durch ihre Unterschrift auf dem Testament bestätigen müssen; die Zeugen müssen den Inhalt des Testaments nicht kennen

Pflichtteilsrecht

Das englische Recht kennt weder Pflichtteilsansprüche noch ein Noterbrecht. Die Testierfreiheit findet ihre Grenzen in den im „Inheritance (Provision for Family and Depedants) Act 1975 geregelten family provisions. Es handelt sich dabei um Ansprüche mit teilweisen Unterhaltscharakter, die dem Erbstatut unterliegen. Die family provision fällt nicht automatisch an, sie muss gerichtlich geltend gemacht werden. Die Ansprüche können auch in Fällen der gesetzlichen Erbfolge oder in Fällen einer testamentarischen Zuwendung bestehen.

Der Kreis der potenziell Berechtigten besteht aus:

  • Ehepartner / EP
  • Nicht wiederverheirateter geschiedener Ehegatte / nicht erneut verpartnerter ehemaliger EP
  • Nicht verheirateter eheähnlicher Lebenspartner, der zwei Jahre lang vor dem Tod des Erblassers mit diesem zusammengelebt hat
  • Kinder des Erblassers
  • Stiefkinder und Kinder, die wie Stiefkinder behandelt wurden
  • Empfänger von lebzeitigen Unterhaltsleistungen durch den Erblasser, sog dependants

Es bestehen keine festen Pflichtteilsquoten. Vielmehr ordnet das Gericht eine nach seinem billigen Ermessen festzusetzende family provision an, wenn der Antragsteller nicht angemessen am Nachlass beteiligt wurde.

Die family provision ist ein schuldrechtlicher Anspruch, der vom Gericht zB in Form eines Unterhaltes, einer Einmalzahlung, einer Eigentumsübertragung etc angeordnet werden kann.

Anderes gilt hingegen für Schottland. Der Succession Act 1964 sieht legal rights vor, die wahlweise auch bei testamentarischer Begünstigung geltend gemacht werden können. Dies bezieht sich aber nur auf das bewegliche Vermögen des Erblassers und beträgt für den Ehegatten 1/3, wenn Kinder vorhanden sind, sonst 1/2. Für die Kinder beträgt das legal right 1/3, wenn sie mit einem Ehegatten konkurrieren, sonst 1/2. Formularbeginn

Pflegevermächtnis

In England gibt es kein dem österreichischen Pflegevermächtnis entsprechendes Rechtsinstitut.

Nachlassverfahren

In England ist eine Nachlassabwicklung zwingend erforderlich. Zu unterscheiden ist primär zwischen dem Amt des executor, der im Testament ernannt wird und dem administrator, der vom Gericht bestellt wird (beide sind personal representatives). Der executor wird bereits kraft seiner Ernennung im Testament Rechtsträger des gesamten Nachlasses. Ihm wird ein gerichtliches Zeugnis erteilt, welches deklaratorische Wirkung hat und welches er zum Nachweis seiner Rechtsstellung benötigt. Die Bestellung des administrator durch das Gericht ist hingegen konstitutiv; erst mit der Aushändigung der gerichtlichen Ernennungsurkunde wird er Inhaber des Nachlasses und damit berechtigt, wirksam zu handeln. Das Amt eines personal representative endet nicht mit der vollständigen Abwicklung des Nachlasses, sondern besteht darüber hinaus auf Lebenszeit fort, sodass er seine Tätigkeit jederzeit wieder aufnehmen kann.

Der personal representative hat zunächst die Nachlassgegenstände in Besitz zu nehmen und offene Forderungen einzuziehen. Außerdem hat der alle Nachlassverbindlichkeiten festzustellen und zu begleichen. Nach Erledigung sämtlicher Aufgaben hat der personal representative den Reinnachlass unter den beneficiaries entsprechend aufzuteilen. Da die Erben keine persönliche Haftung für Nachlassverbindlichkeiten treffen kann, erfolgt eine Ausschlagung form- und fristlos durch Verweigerung der vom personal representive angebotenen Leistung.

 

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